Herdenschutzhunde – in Städten vollkommen überflüssig

Quelle: http://www.bestehunde.de/herdenschutzhunde.html

Auch wenn die Einleitung natürlich nichts bewirken wird: Ja, es gibt Leute, die ihre Herdenschutzhunde sehr gut im Griff haben, die sich auskennen, die Tiere artgerecht halten und sich der Verantwortung vollkommen bewusst sind – an diese richtet sich dieser Artikel nicht. Obwohl: In vielen Gesprächen haben gerade diese Hundehalter die Aussage unterstrichen, dass die Haltung von Herdenschutzhunden in einem dicht besiedelten Gebiet durchaus sehr kritisch zu sehen sei. Und warnende Stimmen kommen zu Recht genau aus der Ecke der verantwortungsvollen Hundebesitzer.

Der Herdenschutzhund ist kein Schäferhund

Herdenschutzhunde haben eine ganz andere Aufgabe als Schäferhunde – während letztere klein und wendig sein sollten um die Herde im Zaum zu halten, sind Herdenschutzhunde dazu da, die Herde selbstständig zu bewachen, Gefahren zu vertreiben. Herdenschutzhunde verbringen einen großen Teil ihrer Zeit alleine mit der Herde, sie sind vom Hirten (vom Menschen) unabhängig und weitestgehend unbeobachtet. Das bedingt einerseits einen selbstbewussten Hund und andererseits einer, der – vorzugsweise nachts – ständig wachsam ist und in Bruchteilen einer Sekunde selbständig entscheidet, ob er etwas als Gefahr ansieht oder nicht. Und entsprechend konsequent handelt. Alleine schon diese Beschreibung zeigt, wie weit weg Herdenschutzhunde von einer Alltagstauglichkeit sind, wenn sie denn artgerecht gehalten werden sollen.

Der Herdenschutzhund – nicht aggressiv, aber konsequent

Richtig: Ein Herdenschutzhund ist von Natur aus nicht aggressiv, und schon gar nicht greift er einfach so an – er wäre ja schön blöd, schließlich geht es um seine und seiner Herde Gesundheit. Was also tut ein Herdenschutzhund im Gefahrenfall? Er stellt sich zwischen seine Herde und den (vermeintlichen) Angreifer. Er blockt ihn ab. Präsentiert sich und macht deutlich: „Meine Herde. Mein Gebiet. Zisch ab!“. Prima – in den unberührten Gegenden der Dolomiten, der Pyrenäen und des Kaukasus ist das perfekt. Der Wolf, oder Bär oder was auch immer wird den Hund sehen und im besten Falle den Rückzug antreten. Problem gelöst. So. Andere Situation: Waldweg. Herdenschutzhund läuft vorneweg, dahinter seine Herde, die er zu beschützen hat. Andere Hunde, Menschen etc. kommen entgegen. Erkennt der Herdenschutzhund aus welchen Gründen auch immer eine Gefahr, wird er sich auf den Weg stellen und diesen blockieren. Wenn nun aber Hund und Mensch nicht wie ein Wolf reagieren sondern – zu recht – weiter auf dem Weg Richtung Herdenschutzhund laufen, dann wird sich dieser schon wundern: „Reicht die Drohung nicht? Kapieren die das nicht? Muss ich deutlicher werden? Deutlich heißt im Zweifel dann: Angriff. Vertreiben. Und zwar definitiv. DAS ist die Gefahr bei Herdenschutzhunden.

Die Sache mit dem Territorialverhalten

Es hat ja keiner was dagegen, wenn ein Hund seinen Garten als Territorium aussucht oder zugewiesen bekommt und ihn entsprechend in Beschlag nimmt. Einem Herdenschutzhund ist das nicht so ganz einfach klar zu machen – instinktmäßig betrachtet er alles, was er überblicken kann als sein Revier. Ob das die andere Straßenseite ist oder „sein“ Auslaufgebiet ist dabei ziemlich egal – es ist sein Job, alles, was sich in seinem Blickfeld befindet zu beobachten und zu warnen. Besonders nachts – in der Dämmerung, bei schlechten Lichtverhältnissen ist ein Herdenschutzhund auf Alarm gepolt und gehört immer – immer! – an die Leine (was allerdings, um Sinn zu machen, am anderen Ende jemanden erfordert der auch mal losstürmende 70kg zurückhalten kann). Und eines muss auch klar sein – im Normalfall wirken Herdenschutzhunde gemütlich, wenn nicht gar phlegmatisch. Sie sparen Kräfte, denn bei den Herden ist Futter knapp. Ist es allerdings notwendig, reagieren sie blitzschnell und mit großer Vehemenz und Kompromisslosigkeit. Zum Thema Futter: Wenn Sie ganz sicher gehen wollen, dass ihr Herdenschutzhund übermäßig aktiv und damit auch potentiell noch gefährlicher wird, dann füttern Sie ihn mit so genannt hochwertigem Fertigfutter. Diese Hunde sind darauf eingestellt, mit wenig und schlechter Nahrung auszukommen – ein Eiweiß-Schock wie ihn moderne Fertigfutter liefern führt im schlechteren Fall zu Hyperaktivität.

Ein paar Aussagen von Züchtern

Herdenschutzhunde sind ganz tolle Hunde – wenn sie artgerecht gehalten werden können. Leider können sie das in unserer zivilisierten Umgebung – oder sollten wir sagen: zugebauten Umgebung nicht. Es fehlt ihnen schlicht die Möglichkeit, ihre Aufgabe wahrzunehmen. Jedes Mal, wenn ein Herdenschutzhund seinen Job tut, kommt er automatisch mit anderen in Konflikt. Man kann das natürlich auch schönreden:

Wir zitieren aus einer Züchterwebseite für Komondor: „Aus Liebe und Anhänglichkeit zu uns, hat einer unserer Komondore eine Mauer von 2.20m Höhe überwunden, legte sich auf die Straße, auf welcher wir immer nach Hause kamen, und blieb einfach liegen, und wartete und wartete. Auch ein Schulbus konnte ihn nicht davon abhalten…“ Toll. Was heißt das nun? Das hat mit Liebe und Anhänglichkeit wenig zu tun, viel aber mit Ungehorsam und wahlweise schlechter oder erfolgloser Erziehung. Oder aber – und dann ist es nicht besser – mit der Art des Komondors.

Sie haben nicht die Möglichkeit, jeden Tag woanders laufen zu gehen? „Zu (seinem) Revier gehört für den Kangal sein Grundstück und alles in der Umgebung, was er noch überblicken kann, sein Auto und alle seine Spazierwege.“ Entsprechend ist natürlich jeder in seinem Revier ein potentieller Eindringling…

Verantwortungsvolle Menschen schreiben aber auch: „Leider wird meistens außer Acht gelassen, dass der Kangal kein urbaner Hund ist und viel Zeit, Platz und Erfahrung verlangt. Deutsche Lebensverhältnisse sind nicht vergleichbar …. so dass Probleme vorprogrammiert sind.“

„Man darf als (Pyrenäenberghund) doch bitte noch einmal nachfragen, ob man … dem Willen des Herrn Folge zu leisten hat? … Aber gerade dies ist es, was diesen Hund so absolut liebenswert und anders als andere Rassen macht.“ Ich hoffe, dass der Züchter mangelnde Kooperationsbereitschaft bei seinen Kindern auch als Qualitätsmerkmal ansieht.

Was macht die Faszination von Herdenschutzhunden aus?

Es sind die Begriffe wie: „Treue bis in den Tod“, „Selbständigkeit“, „Tapferkeit“ „Pflichterfüllung“ etc. die fast jedem von uns einen leichten Schauer über den Rücken jagen – sind das nicht genau die Begriffe, die wir so gerne hören, diese echten, wahren Werte die in unserer ach so dekadenten Welt gar nicht mehr vorkommen? Wäre es nicht schön, so einen treuen, aufopferungsvollen, tapferen und im Notfall bis zum Tode kämpfenden Begleiter aus dem Porsche Cayenne springen lassen zu können und mit ihm ein paar Schritte durch den Wald zu gehen, verfolgt von ehrfürchtigen und – ja durchaus auch ängstlichen – Blicken. Wie toll muss das Gefühl sein, wenn andere Menschen und Hunde ausweichen – vor dem Hund, dessen Präsenz. Leider nicht vor der des Halters. Herdenschutzhunde sind ideale Projektionsflächen für längst vergangene und unterdrückte Wünsche nach Werten, die vor ein paar Jahrhunderten galten und heute nur noch mystisch verklärt sind.

Man kann Herdenschutzhunde halten – aber warum sollte man?

Wir kennen selbst Hundehalter mit Herdenschutzhunden – das funktioniert problemlos. Wir sehen aber mehr Hundehalter, die einen solchen Hund haben und da funktioniert es eben nicht. Ja. Herdenschutzhunde können hervorragende Familienhunde sein – aber das Risiko, dass sie es nicht werden ist größer als bei einem anders disponierten Hund. Und ja – jeder Hund kann territoriale Ansprüche erheben; dass es ein Herdenschutzhund tut ist aber deutlich wahrscheinlicher als dass es ein Dackel tut. Und ja: man kann jeden Hund erziehen – aber einen Herdenschutzhund zu erziehen braucht mehr Sachverstand, mehr Erfahrung, mehr Wissen und mehr Konsequenz als andere Rassen. Man kann Herdenschutzhunde auch an Ausstellungen zeigen und prämieren lassen – dann aber sollte man nicht auf das Urtümliche dieser Rassen hinweisen.

Warnung vor Herdenschutzhunden ist keine Stigmatisierung

Wer immer vor einer bestimmten Hundegruppe warnt, stellt sich unweigerlich ins Kreuzfeuer der zahlreichen Gutmenschen, die einen kennen, der von einem gehört hat, der seinen angeblich so schwierigen Hund ganz vorzüglich im Griff hat und dessen Hund auch schon mal ein kleines Kind gerettet hat – oder so. Und selbstverständlich ist jede Warnung vor einer Rasse gleich eine Stigmatisierung, basierend auf Unkenntnis und Vorurteilen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Verhaltenswissenschaftlerin Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen schrieb in ihrem Gutachten zur Haltung von Herdenschutzhunden treffend: „Die Erziehung aller Herdenschutzhunde erfordert neben Kenntnissen, die über normales Hundewissen hinausgehen … eine starke Persönlichkeit“ und weiter: „Die Hunde sind sehr territorial und diesbezüglich hoch verteidigungsbereit.“ Diese Tatsachen sind keinesfalls eine Stigmatisierung der Hunde, sondern bezeichnen lediglich ihre angeborenen Wesenszüge – und genau diese machen sie ungeeignet als reiner Begleithund, womöglich noch im urbanen Gebiet. Dass das Gleiche natürlich auch für andere Hundetypen und Rassen (z.B. den Weimaraner oder Deutsch Kurzhaar) gilt, macht die Aussage gegenüber den Herdenschutzhunden nicht weniger wahr.

Es gibt einen guten Grund für Herdenschutzhunde

Nämlich, wenn Sie eine Herde haben. Eine Herde Schafe oder auch Rinder. Dann können und sollten Sie einen Herdenschutzhund halten – natürlich nicht einen, sondern je nach Herdengröße mehrere – zum Beispiel drei. Was diese Tiere zum Schutz der Herde leisten können (unter anderem auch gegen Wölfe), das erfährt man auf der Seite ag-herdenschutzhunde.de. Und wer das liest, der versteht, was unter Art gerechter Haltung gemeint ist. Alternativ haben Sie ein paar tausend Quadratmeter großes Gelände, einen Schrottplatz oder ähnliches, das bewacht werden soll. Dann ist ein Herdenschutzhund für Sie eine echte Überlegung wert.

Fazit: Herdenschutzhunde sind tolle Hunde. Es sind Spezialisten – und man wird ihnen nur dann gerecht, wenn man sie ihre Eigenschaften und ihre Instinkte ausleben können. Leider können sie das in einem urbanen Gebiet nicht – und deshalb stehen wir der Haltung von Herdenschutzhunden als Familien- oder Begleithund generell sehr kritisch bis ablehnend gegenüber.

Sinn der Rasseliste jetzt auch wissenschaftlich widerlegt

Quelle: https://dogaktuell.de/sinn-der-rasseliste-jetzt-auch-wissenschaftlich-widerlegt/

Die Briten haben in einer umfassenden Studie belegt, was Hundefreunde und Hundekenner längst wussten: Aggressives Verhalten von Hunden ist nicht auf die Hunderasse, sondern auf andere Faktoren zurückzuführen.
Der Studie nach ist ein Hund dann aggressiv, wenn er beispielsweise ein Kind direkt anstarrt und eine starre Haltung annimmt, oder wenn er knurrt. Auch das Stellen der Nackenhaare und das Zurücklegen der Ohren weisen genauso auf eine Aggressionsbereitschaft hin, wie das Hochziehen der Lefzen und das Fletschen der Zähne. Diese Drohgebärden steigern sich in der zweiten Stufe zum Schnappen oder leichtem Zwicken und enden über kräftigerem Zubeißen in mehrfachem Beißen und Schütteln.
Bezeichnend an dieser Studie ist, dass die Häufigkeit dieser Verhaltensweisen nichts mit der Rasse des Hundes zu tun haben. So fanden die Wissenschaftler heraus, dass Hunde, deren Halter jünger als 25 Jahre sind, doppelt so häufig zu Aggressionen neigen, wie Hunde, deren Halter älter sind als 40 Jahre. Des Weiteren neigen Rüden, ob kastriert oder nicht, eher zu aggressiven Verhalten, als Hündinnen. Eine wesentliche Rolle spielt auch die Erziehungsform. So reagieren Hunde, die mit Sanktionen (Bestrafung) erzogen wurden, wesentlich aggressiver auf Fremde und Bekannte, als Hunde, deren Erziehung auf Belohnungen aufgebaut war. Die Studie ergab außerdem, dass Hunde von Hundezüchtern ein weitaus geringeres Aggressionspotenzial haben, als Hunde mit unbekannter Herkunft. Insbesondere bei Hunden aus dem Internet kommt es vermehrt zu Problemen, da diese oftmals negative Erfahrungen gemacht haben oder zu früh von der Mutter getrennt worden sind. Auch eine Kombination von beidem ist bei den Hunden aus dem Internet keine Seltenheit.
Die Einstufung einer potenziellen Gefahr durch den Hund ist somit nur mit Berücksichtigung von mehreren Faktoren für jeden einzelnen Hund individuell möglich. Dies ist jedoch recht aufwendig und erfordert einen gewissen Sachverstand.

Quellenangaben finden Sie in unserem E-Paper-1-2015